Die Verschärfung der Krisen in vielen Regionen der Welt, insbesondere im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika und auch in Teilen Osteuropas hat zu einer globalen Flüchtlingsbewegung geführt, die Europa und besonders Deutschland vor eine große Herausforderung stellen. Bis zu 1 Million Flüchtlinge werden in diesem Jahr in unserem Land Asyl suchen, rund ein Drittel davon ist jünger als 17 Jahre. Deutschland bekennt sich zum Grundrecht auf Asyl und ist verpflichtet, diesen Menschen bis zur Entscheidung darüber menschenwürdige Bedingungen zu bieten.
Die Kulturpolitische Gesellschaft setzt sich dafür ein, dass die Menschen, die verzweifelt und traumatisiert, aber voller Hoffnung nach Deutschland kommen, hier ein menschenwürdiges Leben und möglicherweise auch eine Zukunft finden. Kulturpolitik, die sich als Gesellschaftspolitik versteht, muss eine Willkommenskultur unterstützen, die diese Bezeichnung verdient.
Voraussetzungen für ein Leben im Exil, das trotz aller Verluste einen Neuanfang ermöglicht und Perspektiven in sich birgt, sind die Achtung der Menschenwürde und das Recht auf Persönlichkeitsentfaltung. Dazu gehören Bildung, Wohnung, Arbeit, aber auch Kultur – die eigene wie die des Gastlandes.
Kultur steht für uns für die humane Identität einer ganzen Gesellschaft. Sie fördert und ermöglicht soziales Miteinander, gesellschaftliche Kommunikation, die Artikulation von Bedürfnissen und Wünschen, die Reflexion von Erfahrungen, die Entfaltung von Empowerment sowie das Denken und Leben in neuen Zusammenhängen. Deshalb wollen und müssen sich Kulturpolitiker, Kulturschaffende und -vermittler in die Gestaltung von menschenwürdigen Lebensbedingungen von Asylsuchenden und Migranten aktiv einbringen. Politik und Verwaltung sind aufgefordert, dies durch unkomplizierte Zugänge, Fördermöglichkeiten und Strukturen zu ermöglichen. Das beeindruckende Engagement vieler Menschen auch im Kulturbereich zeigt, dass eine Willkommenskultur möglich ist und Kunst und Kultur dafür ein Medium sein können.
Die Kulturpolitische Gesellschaft ruft daher Kulturpolitiker aller Ebenen, Kunstinstitutionen und Kulturschaffende auf:
- Kommunikationsorte und -gelegenheiten als »Willkommensräume« zu schaffen, die Austausch und Begegnung ermöglichen und damit Ausgrenzung verhindern;
- durch künstlerische und soziokulturelle Arbeit mit interkulturellem Ansatz Teilhabe und Partizipation zu ermöglichen, die den Menschen in ihrer Situation die Hand ausstreckt;
- das künstlerische und kulturelle Potential der Flüchtlinge für unsere Gesellschaft zu erkennen und ihr Kommen als Chance einer Öffnung und Bereicherung unserer Kultureinrichtungen von der Hoch- und Breitenkultur bis zur Populärkultur zu begreifen;
- die kulturellen Traditionen und demokratischen Werte zu vermitteln, die die vielfältige kulturelle Landschaft, die kulturellen Institutionen und Szenen in Deutschland repräsentieren;
- kurzfristig unbürokratische Finanzierungs- und Aktionsmöglichkeiten bereitzustellen, die den besonderen Bedingungen der künstlerischen und kulturellen Arbeit mit Flüchtlingen gerecht werden.
Die kulturellen Infrastrukturen, künstlerischen Ansätze und der gesellschaftliche Konsens für die Einbeziehung von Asylsuchenden und Migranten in das kulturelle Leben unseres Landes sind in Deutschland vorhanden. Jetzt ist es an der Zeit, diese Potenziale zu entfalten und zu stärken.
Vorstand der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V.
Bonn, 11. September 2015