Zu Ende gedachte Inklusion muss eine Inklusion sein, die an die Wurzeln geht. Denn wir alle sind und werden „behindert“ – mal in körperlicher, mal in mentaler, sozialer, kultureller, emotionaler, finanzieller oder struktureller Hinsicht. Ein Plädoyer des Vereins Grenzen sind relativ. STADTKULTUR HAMBURG veröffentlicht in dieser Woche vorab Artikel aus dem neuen stadtkultur magazin Nr. 47 „Gesellschaftlicher Zusammenhang durch Kultur“, das nächste Woche erscheint.
Autor: Mischa Gohlke
Der aktuelle „Inklusions-Hype“ bietet die Chance, neue gesellschaftspolitische Prozesse und Strukturen sowie die „Gesellschaft von morgen“ in die Wege zu leiten. Für viele Menschen ist Inklusion jedoch immer noch ein Fremdwort, mit dem sie wenig anzufangen wissen. Zumeist wird Inklusion auf die „Integration“ von – formal anerkannten – Menschen mit Behinderung reduziert und in den Frames Barrierefreiheit, Schule und Arbeitsleben diskutiert. Selbst viele Akteure aus der Behindertenszene diskutieren den Begriff recht oberflächlich und separierend, von den Vertretern aus Wirtschaft und Politik ganz abgesehen, die hier überwiegend ihr ganz eigenes Süppchen kochen.
Dabei hat die „UN-Behindertenrechtskonvention“, die in Deutschland 2009 in Kraft trat, ein eindeutiges Zeichen gesetzt: Inklusion ist ein Menschenrecht. Die Politik, so die UN-Konvention, hat den offiziellen Auftrag, die Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft vorzubereiten. Dazu ist es notwendig, dass wir uns alle erst einmal ein stimmiges Bild davon machen, was Inklusion wirklich ist. Inklusion ist keine Spezialkonvention, sondern die Konkretisierung der vorhandenen universellen Menschenrechte.
Wir ALLE sind – und werden – „behindert“: Ob nun in körperlicher, mentaler, sozialer, kultureller, emotionaler, finanzieller oder/und struktureller Hinsicht. Wir brauchen eine differenzierte Auseinandersetzung darüber, was sich hinter Bewusstsein, Wahrnehmung, Kommunikation und den scheinbaren Realitäten verbirgt.
Aus der Bewusstseins- und Hirnforschung wissen wir, dass unsere Wahrnehmung ziemlich begrenzt und stets von Interpretationen, Projektionen und Konditionierungen beeinflusst ist. Viele Konflikte entstehen, wenn wir unsere subjektiv begrenzte Wahrnehmung zur objektiven Realität machen. Selbstentfremdungen, Ängste, Ohnmacht und vermeintliche Alternativlosigkeit führen immer wieder dazu, dass Menschen in einer isolierten Welt leben und somit viele separierende Systeme und Narrative aufgebaut werden.
Zu Ende gedachte und gelebte Inklusion kollidiert mit unserer stark neoliberal geprägten Leistungs-, Konsum- und Wachstumsgesellschaft. Derzeit sind wir Weltmeister, unter anderem im separierenden Wahrnehmen, Handeln und Tun und im Wohltätigkeitskultur-Entertainment-Promi-Gehabe.
Im Zeitalter der Ich-AGs darf aus ICH und DU gerne wieder ein „Wir-sind-miteinander-verbunden-Bewusstsein“ entstehen. Inklusion ermöglicht ein neues Verständnis und Erleben im zwischenmenschlichen Miteinander. Inklusion beinhaltet alle Facetten des Seins, auch wenn wir Menschen diese nur begrenzt erfassen können. Inklusion schafft neue individuelle und kollektive Realitäten, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern einander bedingen. Inklusion betrifft uns alle.
Musik, Kunst und Kultur sind wunderbare Kommunikationsmittel, um in den Dialog zu kommen und dabei persönliche Entwicklungsprozesse zu unterstützen, für die Bedürfnisse anderer zu sensibilisieren, Denkblockaden aufzudecken und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken.
Der Verein „Grenzen sind relativ” setzt sich mit Projekten, Veranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung für eine integrale, inklusive und friedliche Gesellschaft ein. Um die Vision lebendig werden zu lassen, braucht es ein zielgerichtetes Umdenken sowie eine praxis- und prozessorientierte Vertiefung. Deshalb realisiert der Grenzen sind relativ e.V. Veranstaltungsformate wie die jährlichen „Grenzen sind relativ Festivals“ in der FABRIK, das Veranstaltungskonzept „Support Inklusion“ bei Festivals, Straßenfesten und Konzerten, Aktionstage Inklusion in Schulen, Universitäten und andere Einrichtungen und dem Programm „Spektralkombüse“, bei dem Inklusion durch Musik, Tanz und Kabarett erfahrbar gemacht wird.
Darüber hinaus kreiert der Grenzen sind relativ e.V. Kampagnen-Musikvideos zu den Themen Inklusion und Frieden. In dem Musikvideo des Crossover-Projektes „AndersSein vereint – Inklusionssong für Deutschland“ singen, rappen, grooven, tanzen und gebärden über 80 Protagonist*innen für die „ganzheitlich gelebte Inklusion“. Im Juni 2019 wird das Kampagnen-Musikvideo „Zeig Dein Gesicht für den Frieden“ veröffentlicht.
Zusammen mit vielen anderen Akteuren will der Verein Impulse für die gesamtgesellschaftliche systemische Inklusion freisetzen und Synergien, Multiplikatoren, Folgeprozesse, persönliche und kollektive Mehrwerte sowie weiterführende Basisarbeit auf den Weg bringen.
Es geht mehr und mehr um ein integrales Bewusstsein, mit dem wir uns gemeinschaftlich mit den essentiellen Themen, die unser Leben in einer komplexen heterogenen Gesellschaft ausmachen, auseinandersetzen. Lasst uns ALLE zusammen für einen grundlegenden gesellschaftspolitischen strukturellen Wandel einsetzen und eine in die Tiefe gehende Auseinandersetzung führen, was sich hinter Bewusstsein, Wahrnehmung und den scheinbaren Realitäten überhaupt verbirgt. Auf in eine neue Beziehungskultur.
KONTAKT
Grenzen sind relativ e.V.
c/o Gohlke · Wrangelstraße 103 · 20235 Hamburg
· www.grenzensindrelativ.de
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