Heimat ist ein Distanzbegriff. Der Bezugspunkt wächst oft mit der Entfernung: Denen, die in die Stadt oder eine andere Region gezogen sind, mag es das Dorf, das Stadtviertel oder die Region sein. Denen, die den Kontinent verlassen haben, ist es womöglich Europa. Denjenigen, die sich von unserem Planeten entfernt haben, kommt sogar die Erde als Heimat vor. Und für diejenigen, die sich auch im Virtuellen zuhause fühlen, ist womöglich auch das Internet eine Art Heimat. Für Heimat ist insofern das Verhältnis von Nähe und Ferne konstitutiv.
Eine auf den Begriff Heimat bezogene Kulturpolitik muss beides im Blick haben: die Ferne, wenn es darum geht, sich von überkommenen Lebensweisen und kulturellen Traditionen zu lösen, und die Nähe, wo es nötig ist, die Kulturen des Alltags zu verstehen und zu respektieren, dass Nähe und Geborgenheit menschliche Grundbedürfnisse sind. Kunst, Kultur und Kulturelle Bildung sollten beides ermöglichen: mehr kulturelle Freiheit durch Ferne und mehr kulturelle Mitgestaltung durch Nähe. Dieses Verhältnis immer wieder neu auszutarieren, ist eine Aufgabe der Kulturpolitik.
Heimat ist auch ein Verlustbegriff. Vielen wird dies bewusst, wenn die überkommenen Lebensumstände sich verändern, wenn der Strukturwandel die Grundlagen des Vertrauten und des Existenziellen zerstört, wenn Krieg und Vertreibung, Hunger und Dürre zum Verlassen der Heimat zwingen, wenn Einwanderer und Flüchtlinge die Milieus in den Städten diverser werden lassen und die „eigene“ Welt fremd erscheint, wenn Digitalisierung und Klimawandel überkommene Zukunftsbilder zerreißen. Kulturpolitik muss die Projektionen und Sehnsüchte, die mit Heimat verbunden sind, respektieren, denn sie sind real und nicht eingebildet – und sie sind vielfältig. Es ist ihre Aufgabe, im Rahmen ihrer Möglichkeiten den Menschen, die sich um ihre Heimat sorgen, mentale Zugänge zu neuen Heimaten zu verschaffen und mit dem Neuen zu versöhnen. Dies kann nur gelingen, wenn sie von einem realitätsbezogenen und reflektierten Heimatbegriff ausgeht, der den Anspruch der Menschen, ihre Heimat als Lebenswelt und Identifikationsraum mitgestalten zu können, ernst nimmt und darauf zielt, Heimat als „gesicherten Bestandteil der Lebensverhältnisse“ (Oskar Negt) zu entwickeln.
Heimat ist aber auch ein Zukunfts- und Sehnsuchtsbegriff, dem das „Prinzip Hoffnung“ und das „Prinzip Verantwortung“ innewohnen und damit der Appell, dass der „arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch“ die Utopie einer „menschen- und naturgerechten Gesellschaft“ (Ernst Bloch) wachhält. Angesichts der drohenden Klimakrise und der mentalen und politischen Auswirkungen, die ihr vorauseilen, sollte es jeder Politik darum gehen, unsere Heimat ERDE vor dem Schlimmsten zu bewahren. Kulturpolitik muss sich deshalb als Zukunftspolitik begreifen und mit dafür sorgen, dass die Menschen ihren Umgang mit der lokalen und globalen Lebenswelt angemessen reflektieren. Neue Heimatbilder müssen dem Narrativ der Nachhaltigkeit und der Resilienz folgen. Heimaten hängen voneinander ab, es gibt keine isolierten Insellösungen mehr. Das Bild der unbeschädigten Heimat ist ein Idyll der Erinnerung, denn der Klimawandel bedarf des Handelns miteinander und global orientiert. Kunst und Kultur können dazu beitragen, gesellschaftliche Herausforderungen emotional und ästhetisch erfahrbar zu machen und neue Perspektiven aufzuzeigen, die den Diskurs über einen nachhaltigen Umgang mit Natur und Kultur stärken.
Kulturpolitik als Heimatpolitik heißt weder Ideologisierung noch romantische Verklärung, sondern aktive Auseinandersetzung mit den Problemen der Gegenwart, die uns in die Zukunft scheinen. Es geht um eine lebenswerte Welt, die möglichst allen Menschen den Zugang zu und die Ausgestaltung von Heimaten ermöglicht. Im Zeitalter der Globalisierung wird Heimat als Plural immer wichtiger. Kulturpolitik sollte mit ihren Mitteln dazu beitragen, diese Herausforderungen in lokalen und überlokalen Zusammenhängen sowie mit analogen und digitalen Mitteln in das Bewusstsein der Menschen zu rücken. In diesem Sinne kann Kulturpolitik auch aufgeklärte und aufklärende Heimatpolitik sein, um als „konkrete Utopie“ und in „reale Demokratie begründet“ in der Welt das entstehen zu lassen, „das alle in die Kindheit scheint und wo noch niemand war: Heimat“ (Ernst Bloch).