In den Gründerjahren der Sozio- und Stadtteilkultur, beginnend in den frühen 1970er Jahren, ging es darum, gemeinsam mit anderen neue Orte zu erschließen, Leerstände zu beleben und einen Beitrag dazu zu leisten, das Miteinander auf lokaler Ebene in neuen Formen basisdemokratisch zu gestalten. Mittlerweile hat sich der Soziokulturbetrieb professionalisiert. Über „Vielseitigkeitsprofis“, den anstehenden Generationswechsel und Nachwuchs mit akademischer Ausbildung.
Autorin: Dr. Beate Kegler, Uni Hildesheim
In den Anfangsjahren der Soziokultur war die Arbeit in hohem Maße durch ehrenamtliches Engagement bestimmt. Aber allein mit ehrenamtlichem Engagement ließen sich die arbeitsintensiven Kulturbetriebe schon bald nicht mehr halten. Personalstellen konnten zumindest als zeitweise geförderte Beschäftigungen und befristete Teilzeitarbeitsverhältnisse eingerichtet werden. ABM-Stellen waren über Jahre hinweg in nahezu jedem Zentrum „die“ Rettung für die steigenden Anforderungen. Zivildienste, FSJ und BFD folgten, Minijobs und andere Formen geförderter Jobs sicherten eine zusätzliche Personalausstattung – allerdings mit dem Bedarf einer professionellen Begleitung der oft wenig erfahrenen Kräfte.
So ist es kaum verwunderlich, dass der derzeit anlaufende Generationenwechsel in Soziokultur und Stadtteilkulturarbeit nicht reibungslos von statten geht. Ausbildungsberufe gibt es in diesem Sinne nicht. Auch ein bereits im Enquete-Bericht Kultur des Deutschen Bundestages 2007 gefordertes Volontariat in der Soziokultur hat sich bislang nicht durchgesetzt.
Wo sind sie also zu finden, die Vielseitigkeitsprofis mit Herzblut? Exzellenz im Soziokulturbetrieb sieht anders aus als es die profundeste Managementausbildung bieten kann. Es geht in erster Linie immer noch um die Menschen und ihr Gestaltungspotenzial für das Miteinander in der Gesellschaft.
Gesucht wird die genügsame und unermüdlich eierlegende Wollmilchsau der „Kultur für alle“ und „von allen“. Brutstätten dieser seltenen Exemplare zu finden, scheint auf den ersten Blick unmöglich. Neugierige Nachfragen dort, wo Generationenwechsel zu gelingen scheinen, machen jedoch deutlich: So ganz hoffnungslos ist die Lage nicht. Wo Nachfolge gelingt, trifft man immer häufiger junge und vielseitig versierte Kulturakteure an, die ihre Vorbildung in einem der zahlreichen Kulturstudiengänge erworben haben. Studiert haben sie in Hamburg und Hildesheim, Lüneburg und Ludwigsburg, Potsdam und Passau – und an anderen Orten. „Im Dezember 2011 existierten 364 Studienangebote der Kulturvermittlung an Hochschulen in Deutschland“, stellt eine Studie der Kulturpolitischen Gesellschaft 2013 fest und merkt an, dass es sich hier um ein breites Spektrum von Ausrichtungen handelt, die sehr unterschiedlich auf die Praxis vorbereiten.
In der Stadtteil- und Soziokultur bietet die Uni Hildesheim ein passgenaues Studium: Partizipative Vermittlungsformate und kritische Auseinandersetzungen zu Fragen von diversitätssensibler und gesellschaftsgestaltender Kulturvermittlung haben hier einen großen Stellenwert. Das Studium umfasst ferner Kulturmanagement, Kulturmarketing und Methoden der Finanzierung in der Freien Szene ebenso wie alternative Organisationsstrukturen und der Umgang mit basisdemokratischen Strukturen und Ehrenamt.
Als „Studieren mit Spielraum“ werden die Studiengänge am Kulturcampus der Stiftungsuniversität in Hildesheim beworben und wie folgt umschrieben: „In unseren kulturwissenschaftlichen Studiengängen im Fachbereich Kulturwissenschaften und Ästhetische Kommunikation wird kulturwissenschaftliche Theorie mit künstlerischer Praxis verbunden.“ In Praktika und studienbegleitenden Projekten wird die Anwendbarkeit der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten erprobt und geschärft.
Der Blick über den Tellerrand und der Schritt in die Welt der konkreten Kulturarbeit ist verpflichtend durch Praktika bei Kulturverbänden und -Institutionen, in Kulturpolitik und -verwaltung. Auslandssemester an einer der internationalen Partneruniversitäten werden gerne gesehen. Forschung und Studium im Elfenbeinturm ist hier weder erwünscht noch mit der Prüfungsordnung vereinbar.
Dass bereits während des Studiums der Kontakt zu Förderinstitutionen, Kulturämtern und Ministerien, Verbänden und Stiftungen geknüpft und gepflegt wird, ist Teil des Programms. Praxisforschungen, Hausarbeiten, Bachelor- und Masterarbeiten widmen sich somit auch den sehr konkreten Fragestellungen dieser Partner*innen und suchen nach Handlungsempfehlungen für die Praxis. Häufig geht es dabei um die Themen und die gesellschaftsgestaltenden Potenziale der teilhabeorientierten Kulturpraxis.
Genau diese jungen Vielseitigkeitsprofis gilt es zu gewinnen für die Stadtteilkultur im Generationenwandel. Allerdings: So einfach ist es nicht. Die gefragten jungen Leute stehen relativ flexibel der steigenden Nachfrage eines globalen Arbeitsmarktes gegenüber. Für sie gibt es andere berufliche Chancen als noch für die Gründerväter und -mütter der Stadtteilkultur. Zu Recht erwarten sie eine gerechte Bezahlung für ihr Wissen und ihr Engagement.
Verständlicherweise liegt ihr Lebensziel nicht in einem Job, der in Altersarmut enden wird. Qualität hat auch hier ihren Preis. Wo das Geld nicht da ist, wird es schwierig, die engagierten jungen Fachkräfte zu gewinnen. Ohne adäquate Nachfolge wiederum schwindet die Chance, die gewachsene Qualität und erwartete Kontinuität der Stadtteilarbeit zu gewährleisten. Doch gerade diese wird in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Veränderungsprozesse mehr denn je gebraucht. Investitionen in die Nachhaltigkeit und Qualitätssicherung der Stadtteilkultur durch die Beschäftigung junger Vielseitigkeitsprofis wären zugleich Investitionen in die Gestaltung eines gelingen-den Miteinanders vor Ort.
Dr. Beate Kegler lehrt und forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim. Sie promovierte zum Thema Soziokultur in ländlichen Räumen und blickt zurück auf rund 20 Jahre Praxiserfahrung in der Leitung soziokultureller Einrichtungen. In den letzten Jahren entstanden aus ihrer Feder zahlreiche Artikel, Studien und Buchbeiträge zur kulturpolitischen Bedeutung teilhabeorientierter Kulturarbeit in ländlichen Räumen, zu Diversität und Soziokultur.
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