Fair statt prekär: Exempel – Das Kulturhaus

Die Realität in den Einrichtungen der Stadtteilkultur ist komplex. Um vorstellbar zu machen, wie sie aussieht, hat das stadtkultur magazin für seine nächste Ausgabe „Fair statt perkär“ ein idealtypisches Haus entworfen: das Kulturhaus Exempel. Weder das Haus noch irgendeine der hier vorgestellten Personen existieren wirklich – aber die dargestellten Verhältnisse orientieren sich an der Wirklichkeit in den Einrichtungen, so wie STADTKULTUR HAMBURG sie in einer aktuellen Umfrage unter seinen Mitgliedern ermittelte.

Das Exempel hat gerade sein 35. Jubiläum gefeiert. Gesa und Volker haben das Haus 1984 gemeinsam mit zwei damaligen Kommiliton*innen in einer ehemaligen Musterfabrik gegründet. Das Exempel hat sich längst professionalisiert und arbeitet konsequent zukunftsorientiert. Dabei stehen die Themen gesellschaftlicher Zusammenhalt, Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Fokus.

Autor*innen: Corinne Eichner und Heiko Gerken

Gesa Geschäftsführung (63)
Volkswirtin, TV-L 10.6 in Vollzeit = ca. 2.650 Euro netto

Foto: Pixabay

Die Gründerin geht bald in Rente und macht sich Sorgen. Ihre vergleichsweise gute Entlohnung erreicht sie durch die hohe Anzahl an Dienstjahren, die mit Stufe 6 vergütet werden, während Nachfolger*innen in jedem Fall auf Stufe 2 anfangen werden, das entspricht ca. 2120 Euro netto. Sie weiß deshalb nicht, ob sie für ihre Nachfolge auf der verantwortungsvollen Position der Geschäftsführung passende Bewerber*innen findet, denn qualifizierte Fachleute erwarten in der Regel eine höhere Bezahlung. Gesa hat mit 39 Stunden die einzige Vollzeitstelle im Exempel, im Schnitt kommen aber wöchentlich mindestens sieben Stunden Mehrarbeit dazu, die nicht ausgeglichen werden können. Einen Vertrag über Vollzeit hat sie allerdings erst seit etwa sieben Jahren, zuvor war ihre Stelle auf 25 Stunden beschränkt – obwohl der Umfang der Aufgaben auch damals schon fast der gleiche war. Sie hat einen erwachsenen Sohn und wohnt seit 30 Jahren mit ihrem Partner zusammen in Altona in einer schönen Altbauwohnung für 920 Euro kalt. Dennoch wird es durch die jahrzehntelange Teilzeit mit ihrer Rente extrem knapp werden.


Volker Ö.A. Veranstaltung (60)
Kunstlehrer, TV-L 9.6 bei 30 Wochenstunden = ca. 1.850 Euro netto

Foto: Pixabay

Volker plant und organisiert Veranstaltungen, macht das Booking, ist zuständig für die IT-Strategie und Admin und kümmert sich nebenbei um PR, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, betreut die Ehrenamtlichen und koordiniert deren Einsatz. Er ärgert sich immer über die vielen Partys, denn er würde gern mehr partizipatorische und/oder anspruchsvollere Veranstaltungen machen, aber die Partys bringen dringend benötigte Einnahmen. Volker gönnt sich ein Theaterabo, das er oft nicht nutzen kann, weil er mal wieder bis nachts den Abbau der Veranstaltungen im Exempel begleiten muss oder die altersschwache EDV zur Unzeit schlapp macht. Über die geringe Rente, die ihn erwartet, sagt Volker, dass er mit all seinen Beschwerden aufgrund der Schufterei sowieso nicht alt werden wird.


Karina Kurs (29)
Kulturwissenschaftlerin, TV-L 8.1 bei 20 Wochenstunden = ca. 1.040 Euro netto

Foto: Pixabay

Karina ist seit einem halben Jahr dabei und glücklich: Sie hat gerade ihre Probezeit beendet. Sie ist zuständig für das Kurs- und Marktmanagement sowie für die Vermietung der Räume des Exempels. Da sie alleinerziehend ist, muss sie ihr Einkommen aufbessern und arbeitet noch zehn Stunden in einer anderen Einrichtung. Das Exempel kann sich leider nicht mehr Stunden leisten. Sie ist froh über ihre kleine Wohnung in Barmbek und einen Kitaplatz ganz in der Nähe. Ihr Studium hatte sich durch die Geburt ihrer Tochter verzögert und nach Studienende war sie erst einmal arbeitslos. Karina ist dann über einen Bundesfreiwilligendienst zum Exempel gekommen. Nun ist sie fest angestellt und ihre Tochter mittlerweile fünf Jahre alt.


Vera Verwaltung (45)
Tänzerin mit klassischer Ausbildung, TV-L 8.5 bei 15 Wochenstunden = ca. 950 Euro netto

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Vera kam nach ihrer Umschulung zur Buchhalterin zum Exempel. Neben der Buchhaltung, die auch die Erstellung der Bilanz beinhaltet, ist sie zuständig für die Personalverwaltung sowie das Büromanagement des Hauses. Vera ist die „gute Seele“ des Büros und hält den Laden zusammen. Sie macht noch für zwei weitere Organisationen die Buchführung und muss deshalb mit ihrer Zeit haushalten. Die schöne Wohnung in St. Georg kann sie sich mit ihren zwei Kindern leisten, weil ihre Partnerin gut verdient.


Barbara Bildung (30)
Kulturpädagogin, TV-L 9.3 bei 20 Wochenstunden = ca. 1.200 Euro netto

Foto: Pixabay

Barbara hat bereits als Teenager mit großer Leidenschaft Jugendgruppen geleitet und wusste schon früh, welchen Beruf sie ergreifen wollte. In Hildesheim hat sie deshalb ihren Master in Kulturpädagogik gemacht. Ein Auslandsjahr in einem Kulturzentrum in Lille brachte ihr wichtige Erfahrungen, die sie auch in ihre geplante Dissertation einfließen lassen will. Sie leitet den Bereich Projekte und ist dort für die Honorarkräfte und die Projektentwicklung zuständig. Für zwei ihrer Projekte hat sie wichtige Auszeichnungen erhalten. Barbara sucht nach einer Promotionsstelle, die neben dem Freiraum für die Erstellung der Dissertation auch eine bessere Bezahlung bieten würde. Sie würde am Liebsten nach der Promotion ins Exempel zurückkehren, sofern man ihr eine entsprechend bezahlte Stelle anbieten könnte.


Harald Hausmeister (55)
Elektriker, TV-L 4.4 bei 20 Wochenstunden = ca. 1.050 Euro netto

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Harald ist im Exempel zuständig für das „Facility-Management“ und mit ganzem Herzen Hausmeister. Er hat eine Fortbildung zum Sicherheitsbeauftragten absolviert und arbeitet in der Veranstaltungstechnik mit einem Dienstleister zusammen. Über seine Einstufung sagt er, dass er noch Glück gehabt habe: Manche Hausmeister-Kollegen in der Stadtteilkultur kriegen nur TV-L 3 oder weniger. Leider musste er seine schöne Wohnung in Eimsbüttel aufgeben – wegen Eigenbedarfs – und ist raus nach Pinneberg gezogen. Täglich ärgert er sich nun lautstark über seinen Fahrweg. Dass die Beschäftigten von Stadtteilkultureinrichtungen in der Regel keine Chance haben auf HVV-Profi-Tickets, findet er extrem ungerecht. Harald hält sich mit kleinen Reparaturen über Wasser, für die er sich „bar Kralle“ bezahlen lässt.


stadtkultur magazin 48: Fair statt prekär

stadtkultur magazin Nr. 48: Fair statt prekär

Das stadtkultur magazin zur Tarifgerechtigkeit können Sie jetzt schon online lesen. Das gedruckte Heft wird ab dem 25. September 2019 an alle Abonnent*innen versendet. In den Fachinformationen wurden in dieser Woche fünf Artikel aus dem Heft vorab veröffentlicht.

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