Am 8. November 2019 fand der 20. Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur „Wo sind unsere Grenzen der Toleranz?“ im Stadtteilkulturzentrum Eidelstedter Bürgerhaus statt. Das stadtkultur magazin veröffentlicht nun in seiner 49. Ausgabe die Dokumentation der Tagung.
Einrichtungen und Initiativen der Stadtteilkultur stehen für eine große gesellschaftliche Offenheit. Immer wieder aber stellen die Handelnden fest, dass versucht wird, diese Offenheit auszunutzen. Wie soll sich die Hamburger Stadtteilkultur verhalten gegenüber Personen und Organisationen, die ihre Offenheit nutzen wollen, um eigene geschlossene Gesellschaftsbilder zu reproduzieren? Wo sind dabei ihre Grenzen der Toleranz? Wie kann sie sich gegen extremistische Übergriffe wehren, die es auch in Hamburg gegeben hat? Und welche Unterstützung braucht die Stadtteilkultur, um ihre Aufgabe des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch Kultur zu erfüllen und sich gegen Extremisten und Populisten zu behaupten? Diese Fragen behandelte der Ratschlag gemeinsam mit über 120 Teilnehmer*innen im Stadtteilkulturzentrum Eidelstedter Bürgerhaus, in den die Geschäftsführerin von STADTKULTUR HAMBURG, Corinne Eichner, inhaltlich einführte.
Impulse für diese Diskussion gaben zwei Keynotes, darunter ein Beitrag des Senators für Kultur und Medien, Dr. Carsten Brosda. Vor dem Hintergrund zunehmender populistischer und nationalistischer Ansichten brauche es eine starke und freie Kultur, die Diskursräume öffnet und Begegnungen ermöglicht, so der Standpunkt von Carsten Brosda. Er sprach über die Möglichkeiten von Politik und Kultureinrichtungen in diesem Prozess.
Die Keynote von Carina Book, Politikwissenschaftlerin und Referentin in der Politischen Bildung, beschäftigte sich mit dem Kulturbegriff der Neuen Rechten und analysierte dessen Konsequenzen. Die dritte Keynote von Prof. Dr. Dierk Borstel, Professor für praxisorientierte Politikwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund, zu „Ideologien der Ungleichwertigkeit in der Einwanderungsgesellschaft“ musste wegen Krankheit leider ausfallen. Sein Artikel „Obligatorische Erneuerung“ wurde verlesen.
Verschiedene Sessions zu unterschiedlichen Aspekten im Themenfeld ergänzten das Programm. Im Workshop vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus und von empower ging es um rechte Strukturen, aber vor allem auch um die Handlungsspielräume von Einrichtungen und deren Mitarbeiter*innen. Katja Scheer vom Bürgerhaus Wilhelmsburg berichtete in ihrer Session von den wiederholten Versuchen der AfD, das Bürgerhaus Wilhelmsburg für Parteitage zu nutzen. Jan Gröschel von der Kanzlei Hammerstein lieferte die entsprechenden rechtlichen Hintergrundinformationen dazu und stellte sich den zahlreichen Fragen der Teilnehmenden.
Michael Gerland und Ulf Brennecke von der Beratungsstelle Legato erläuterten, wie sich religiöse Radikalisierung im Sozialraum äußert, welche Veränderungen es diesbezüglich in der jüngsten Vergangenheit gab und wie sich damit umgehen lässt. Dr. Sigrid Curth von der Geschichtswerkstatt Wandsbek zeigte beispielhaft anhand des Geschichtssteins und des Husarendenkmal in Wandsbek, wie Auseinandersetzungen um die Interpretation des lokalen Erbes geführt werden können.
Awista Gardi, die beispielhaft Erfahrungen Studierender an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg untersucht hat, behandelte in ihrer Session den alltäglichen Rassismus: Rassismus gäbe es überall, so Gardi, er sei tief verwurzelt und tritt mitunter auf so subtile Art und Weise auf, dass er oft nur den Betroffenen zu Bewusstsein komme. Gregor Schulz vom Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation zeigte in seinem Workshop, wie wir mit fremdenfeindlichen, frauenfeindlichen, homosexuellenfeindlichen und behindertenfeindlichen Äußerungen im Alltag besser umgehen können. Eine weitere Arbeitsgruppe diskutierte die Chance und Möglichkeit des Netzwerks DIE VIELEN. Die Ergebnisse wurden Mitte November auf den Ratschlag DER VIELEN und Ende November auf das Treffen von DIE VIELEN HAMBURG mitgenommen.
Den Abschluss bildete eine Diskussion des Publikums mit Carina Book, der Geschäftsführerin des Bürgerhauses Wilhelmsburg Katja Scheer und dem Regisseur und Essayisten Dan Thy Nguyen, über die Frage, ob es Toleranz auch für die Feinde der Toleranz geben kann. Michael Weidemann moderierte die lebhafte Debatte, bei der sich Publikum und Podiumsteilnehmende intensiv mit dem Thema auseinandersetzten. Mit Musik des Lutopia Orchesters klang der Abend aus.