Der Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition trägt den ambitionierten Titel „Mehr Fortschritt wagen“. Die Kultur ist ein wichtiger Bereich, um diesem Anspruch auch Ideen und Taten folgen zu lassen. Wer allerdings darauf hoffte, dass der Kulturteil im Koalitionsvertrag dafür den Referenztext liefern würde, sieht sich noch nicht zufriedengestellt.
Zwar sind die Absichtserklärungen durchaus anschlussfähig an die reformorientierte Neue Kulturpolitik, deren Entstehung sich auch dem sozial-liberalen Aufbruch in den 1970er Jahren unter dem Motto „Mehr Demokratie wagen“ (Willy Brandt) verdankt, aber der notwendige transformationspolitische „Ruck“ ist eher verhalten ausgefallen und signalisiert noch keine Aufbruchsstimmung. Ein ernsthafter Paradigmenwechsel zu einer evidenz- und konzeptbasierten Kulturpolitik ist noch nicht zu erkennen. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden: Mit Claudia Roth tritt eine Kulturstaatsministerin ihr Amt an, die aufgrund ihrer Erfahrungen in der Kulturarbeit und Umweltpolitik und durch ihr ausgeprägtes demokratisches Engagement eine neue Ära einer sozial-ökologisch-liberalen Kulturpolitik prägen könnte.
Wichtige Marken sind dafür gesetzt: Der weite teilhabeorientierte Kulturbegriff bleibt weiterhin die Grundlage der Kulturpolitik, wobei dem Mitmach-Aspekt gegenüber dem Rezeptionsaspekt mehr Beachtung geschenkt wird. Darüber hinaus enthält der Kulturteil weitere positive Akzente – etwa die Verankerung eines Staatsziels Kultur, die stärkere Förderung von Kultur im ländlichen Raum, die Einrichtung eines „Plenums der Kultur“ und die Gründung eines Kompetenzzentrums für digitale Kultur. Auch die stärkere Betonung der alltagsnahen Kultur (etwa die Weiterentwicklung von Bibliotheken zu „Dritten Orten“, Clubs oder Filmbereich) und die beabsichtigte Verbesserung der sozialen Lage von freien Künstler*innen und freiberuflichen Kreativen ist positiv hervorzuheben. Zu begrüßen ist ferner, für eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen im Sinne einer Entbürokratisierung der Kulturförderung sorgen zu wollen. Besondere Beachtung verdient die Ankündigung einer Anlaufstelle für Green Culture, „die Kompetenzen, Wissen, Datenerfassung, Beratung und Ressourcen für die ökologische Transformation anbietet“. Das Vorhaben könnte eine Grundlage für weitergehende kulturpolitische Reformen werden, die den Umbau der kulturellen Infrastruktur vor dem Hintergrund drängender gesellschaftlicher Herausforderungen voranbringt.
Der Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, Dr. Tobias J. Knoblich, zeigt sich dennoch zurückhaltend: „Koalitionsverträge sind keine literarischen Werke oder politiktheoretische Aufsätze. Dennoch hätte ich mir mehr argumentative Konsistenz und eine klarere Botschaft gewünscht. Wir wissen, dass es angesichts der Folgen der Pandemie gerade für den Kunst- und Kulturbereich und der drohenden Klimakatastrophen kein weiter so in der Kulturpolitik geben kann, sondern dass es gilt, eine ›neue Normalität‹ (Olaf Scholz) zu gestalten. Deshalb hätte ich mir deutlichere Hinweise auf die notwendige Transformation der kulturellen Infrastruktur gewünscht. Wir wissen aber auch, dass Kulturpolitik keine rein staatliche Veranstaltung ist und auch die zivilgesellschaftlichen Akteure gefordert sind, bei der Ausgestaltung einer sozial-ökologisch-liberalen Kulturpolitik behilflich zu sein, damit daraus ein zukunftsfähiges Programm werden kann. Dafür steht die Kulturpolitische Gesellschaft und bietet ihre Mitarbeit an.“