19. Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur „Smart? Nee: plietsch! – Wie die Stadtteilkultur die Digitalisierung klug und kritisch nutzen kann“
Am Freitag, am 23. November 2018 fand der 19. Hamburger Ratschlag Stadtteilkultur „Smart? Nee, plietsch!“ im Bürgerhaus Barmbek mit über 140 Teilnehmer*innen statt. Die Tagung fragte in drei Keynotes, 15 Sessions und einem Expertentalk, wie die Hamburger Stadtteilkultur die Digitalisierung klug und kritisch nutzen kann.
Corinne Eichner, Geschäftsführerin STADTKULTUR: „In Zeiten des digitalen Umbruchs sind kulturelle Teilhabe und Mitgestaltung für die offene Stadtgesellschaft wichtiger denn je. Die kommenden Veränderungen durch die Digitalisierung in den Stadtteilen müssen klug und kritisch begleitet, der Wandel muss umsichtig gestaltet werden. Stadtteilkultureinrichtungen sind dafür ideale Partner. Sie werden auch künftig ihre Stärken im Analogen ausspielen, wollen diese aber durch digitale Möglichkeiten bereichern und ausbauen und erfolgreiche Kulturangebote durch digitale Angebotsformate vervollständigen. Diese Veränderungen werden in den nächsten Jahren eine große Herausforderung für die Stadtteilkultur darstellen.“
Die Publizistin, Expertin für Netzpolitik und ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Marina Weisband sprach in ihrer Keynote zu Beginn der Tagung über die Chancen und Risiken der Demokratie durch die digitale Transformation. Das Internet ermögliche eine neue Qualität der Teilhabe der Bürger*innen, zugleich biete es aber auch ungeahnte Möglichkeiten der Manipulation und Desinformation. Praktisch erläuterte sie die Chancen für die Demokratie anhand der von ihr mitentwickleten Partizipationssoftware AULA. Holger Prang vom City Science Lab der HafenCity Universität Hamburg referierte in seiner Keynote über das Potenzial der „Smart City“ in den Bereichen Bürgerbeteiligung, Transparenz und Big Data, aber auch über die Sorgen um Datenschutz und Einflussnahme durch großen Internetkonzerne. Er stelle mehrere Projekte der HCU im Rahmen der Smart City vor: Bei „Finding Places“ wurde z.B. in Workshops mit interaktiven Stadtmodellen – sogenannte CityScopes – nach öffentlichen Flächen gesucht, die sich zur Errichtung von Flüchtlingsunterkünften eignen.
Die Soziologin Dr. Susanne Draheim, tätig am Creative Space for Technical Innovations an der HAW Hamburg, konzentrierte sich in ihrer Keynote auf die soziale Konsequenzen der Digitalisierung und den Umgang unserer Gesellschaft damit: Die digitale Transformation durchdringe die Lebenswirklichkeit der Menschen im Privaten und im Beruflichen mit einer Radikalität, die es de facto unmöglich mache, sich dem Wandel zu entziehen. Die sozialen Konsequenzen dieser Entwicklung seien so tiefgreifend wie vielfältig.
Am Nachmittag bekamen die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, über diese drei Inputs ausführlich mit den Keynotespeaker*innen zu diskutieren und sich in 45-minütigen Sessions über verschiedene Aspekte der Digitalisierung zu informieren. In drei Blöcken wurde über digitale Kunst in Hamburg informiert, die Möglichkeiten von Nachbarschaftsportalen ausgelotet, Tipps zu Crowdfunding gegeben, freies WLAN durch Freifunk erwogen, über die Sicherheitprobleme von Websites diskutiert und darüber wie sich FakeNews erkennen lassen. Außerdem wurden verschiedene erfolgreiche digitale Projekte vorgestellt: die Präsentationsplattform eFoto der Stiftung Historische Museen Hamburg, das Begegnungsprojekt „Yalla – Rein in die Stadt“ der GWA St. Pauli, das digitale Erinnerungsprojekt „Hamburg Memory“ des Hamburger Landesverband des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und die digitalen Angebote der Bücherhallen Hamburg. In der Ausstellung „Smart Objects“ des Creative Space for Technical Innovations der HAW Hamburg wurde Digitalisierung fassbar gemacht.
Am Abend stimmte die musikalische Performance des Electronics-Musikers Fool alias Felix Striegler mit dem Hamburger Singersongwriter Klein Melchow auf die plietsche Verbindung von Digitalem und Analogem ein. Der Senator für Kultur und Medien, Dr. Carsten Brosda, stellte anschließend in seiner Keynote die Frage, ob digitale Innovation und analoge Begegnung Kernelemente gelungener Stadtteilkulturarbeit seien. Im Anschluss debattierte der Senator mit Marina Weisband und Corinne Eichner, der Geschäftsführerin von STADTKULTUR HAMBURG, unter der Moderation von Michael Weidemann von NDR Info lebhaft mit dem Publikum über die Möglichkeiten der Hamburger Stadtteilkultur durch die digitale Transformation – aber auch über die dafür benötigten Ressourcen und Vorraussetzungen.
Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien: „Lokale kulturelle Einrichtungen sind essenziell für die Stadtteile und die Hamburger Kulturlandschaft. Sie geben Orientierung, auch in einer immer digitaler werdenden Gesellschaft. Zunehmend wird in Projekten den Schulterschluss zwischen digitaler Entwicklung und analogen Begegnungsorten gesucht, um für die Stadtteilkulturarbeit neue Zugänge und Plattformen zu schaffen. Wichtig ist dabei, dass sich solche Projekte stets an den speziellen Bedürfnissen im Stadtteil ausrichten. Der Austausch mit Behörden und weiteren Expertinnen und Experten bildet eine gute und solide Basis, um die Einrichtungen im Stadtteil in ihrer individuellen Entwicklung zu begleiten und sie Digitalisierung aktiv gestalten zu lassen.“
Für STADTKULTUR HAMBURG ist der Ratschlag erst der Auftakt für die Beschäftigung mit dem Thema: Der Dachverband und seine Mitglieder werden die Auswirkungen der digitalen Transformation weiter in Fortbildungen, Austauschformaten und internen Tagungen bewegen. Im Januar erscheint die Dokumentation des Hamburger Ratschlags Stadtteilkultur im stadtkultur magazin Nr. 45.
Smart? Nee: plietsch!
Mit dem Begriff „smart“ bezeichnet man heute Strategien, die Digitalisierung dazu zu nutzen, unser Leben komfortabler und sicherer zu machen. Die „Smart City“ soll effizienter und technologisch fortschrittlicher sein, im „Smart Home“ wird vom Smartphone das Kinderzimmer per Video überwacht, das Licht vorher schon mal angeschaltet und der Kühlschrank ordert selbstständig neue Butter im Onlineshop. Doch wollen wir auch smarte Kultureinrichtungen?
Die Hamburger Stadtteilkultur hat ihre Stärken im Analogen: In den Einrichtungen der Stadtteilkultur gibt es Live-Veranstaltungen mit echten Künstler*innen zum Anfassen. Die Häuser laden zu realen Begegnungen ein und man kann „offline“ im Stadtteil richtig was bewegen. Vielfalt ist nicht nur ein Begriff, sondern direkt erlebbar. Gemeinsam etwas erschaffen: ein Theaterstück, einen Song, eine Ausstellung oder ein Buch – die Stadtteilkultureinrichtungen sind demokratische und künstlerische Labore in ihrer Auseinandersetzung vor Ort.
Diese analogen Stärken lassen sich durch digitale Möglichkeiten bereichern und ausbauen. Digitalisierung bietet Arbeitserleichterungen im Büroalltag. Soziale Medien und Nachbarschaftsplattformen im Netz erschließen neue jüngere Zielgruppen. Digitale Angebotsformate und Kunstformen können erfolgreiche Angebote vervollständigen und neue künstlerische Wege gehen. Der gesellschaftliche Diskurs über den Weg, den unsere Gesellschaft in der digitalen Transformation geht, braucht die kritische Reflexion durch die Stadtteilkultur, die gut informiert mitreden und klug mitentscheiden sollte.
Wir wollen nicht „smart“ sein „auf Deubel komm raus“. Wir wollen das, was wir haben, ergänzen und wirkungsmächtiger machen: Wir wollen digital „plietsch“ sein – wie man in Hamburg sagt.